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Rezension: Heute schon geschrieben? (Band 1+2) von Diana Hillebrand

Schreibratgeber gibt es wie Sand am Meer und sicher sind nicht alle gleich hilfreich. Um dir ein wenig Orientierung zu geben, werde ich hier nach und nach einige vorstellen. Zum Auftakt habe ich die vielgelobte Ratgeberreihe „Heute schon geschrieben?“ von Diana Hillebrand gelesen. Die beiden Hardcoverbände sind 2015 im Uschtrin-Verlag erschienen und basieren auf der gleichnamigen zehnteiligen E-Book-Reihe. Ich habe beide Bücher gebraucht gekauft, denn Band 1 ist meines Wissens (Stand August 2022) nicht mehr als Hardcover erhältlich. Allerdings können die Kapitel noch als Einzelbände im E-Book-Format erworben werden (Bände 1–5 der Reihe).  

Was dich in diesem Artikel erwartet

Über die Autorin

Diana Hillebrand ist langjährige Autorin in den Bereichen Belletristik, Kurzgeschichten und Kinderbüchern und gibt seit 2009 regelmäßig Schreibkurse in ihrer WortWerkstatt SCHREIB&WEISE in München. Außerdem engagierte sie sich 2022 unter anderem in der Jury des Selfpublishing-Buchpreises für den Sonderpreis Kurzprosa. 

Struktur und Kapitel

Mit Quietschgrün und Knallpink sind die beiden Bücher auffällig und fröhlich, laden geradezu dazu ein, sie in die Hand zu nehmen. Der Umfang von jeweils etwas mehr als 400 Seiten könnte zunächst abschreckend wirken, aber die Unterteilung in einzelne Kapitel und der lockere Schreibstil machen das Lesen einfach und kurzweilig.

 

Die Kapitel sind folgendermaßen unterteilt:

Band 1

  • Ideen finden und strukturieren

  • Figuren entwickeln

  • Die richtige Erzählperspektive

  • Ort der Handlung

  • Dialoge schreiben

     

Band 2

  • Plot und Plan
  • Spannungsaufbau
  • Schluss und Überarbeitung
  • Verlage, Verträge, Agenten
  • Marketing für Autoren

Schon in der Aufteilung der Kapitel zeigt sich: Input und Schreibpraxis wechseln sich ab, im zweiten Band wird das Ganze ergänzt um Marketing- und Verlagswissen. Damit ergibt sich ein rundes Gesamtpaket für alle, die gerade erst mit dem Schreiben anfangen. Manche Übungen sowie das Verlagswissen in Band 2 dürften erfahreneren Autor*innen durchaus schon bekannt sein. Doch nichtsdestotrotz finden sich hier viele Denkanstöße und Übungsideen, die für jede*n interessant sein könnten. 

Inhalt und Schreibstil

Der Schreibstil von Diana Hillebrand ist flüssig und locker; die beiden Bücher lassen sich gut lesen. Die persönliche Ansprache und die immer wieder einfließenden Anekdoten aus ihren Schreibkursen machen den Text kurzweilig und praxisnah. Positiv aufgefallen ist mir, dass die klare Botschaft ist: Schreiben soll Spaß machen und nur durchs Schreiben lernt man schreiben. Darauf abgestimmt sind auch die zahlreichen Übungen, die größtenteils niedrigschwellig und schnell umzusetzen sind. Damit erfüllen sie genau das Ziel, das sich die Autorin gesetzt hat: Sie motivieren zum Loslegen und Dranbleiben.

 

Es gibt zudem viele Textbeispiele von der Autorin, die einen Einstieg in die Schreibübungen geben oder die Wirkung verschiedener Handgriffe verdeutlichen. Eine schöne Idee ist auch die Fortsetzungsgeschichte „Hannas WeGe ins Glück“, die sich über beide Bände erstreckt und aufzeigen soll, wie eine Geschichte entstehen kann. Zwischendrin finden sich immer wieder Anmerkungen der Autorin, in denen sie erklärt, was sie sich bei der konkreten Gestaltung gedacht hat.

 

Doch leider finde ich die Umsetzung dieser Fortsetzungsgeschichte nur teilweise gelungen. Die Handlung sowie auch die Charaktere sind sehr klischeebehaftet (dazu später mehr) und nicht alle angefangenen Erzählstränge werden auch konsequent zu Ende geführt. So sind, zumindest für mich, noch einige Fragen offengeblieben. Damit verfehlt der Text in meinen Augen ein wenig die Funktion, alle Abschnitte einer Geschichte und ihrer Entstehung sinnvoll nachzubilden.

 

Insgesamt helfen die Beispiele aber schon, einen Eindruck davon zu bekommen, wie das Schreiben funktioniert. Gerade jemand, der*die ganz am Anfang steht, wird hier sicher etwas mitnehmen können.

 

 

In manchen Punkten wirkt der Ratgeber jedoch etwas aus der Zeit gefallen. Nicht nur, weil aufs Gendern konsequent verzichtet wird. Heutzutage dürften den meisten Leuten die einzelnen Profilfunktionen bei Facebook und die Möglichkeiten, Gruppen zu erstellen und zu nutzen, hinlänglich bekannt sein. Darauf so detailliert einzugehen, erscheint mir unnötig, aber vielleicht falle ich alterstechnisch auch ein wenig aus der Zielgruppe. 

Klischees und Gewalt im Text

CN: Misogynie, sexueller Missbrauch, Belästigung

Ich war selbst überrascht, in einem eigentlich unverfänglichen Buch wie einem Schreibratgeber immer wieder auf klischeebehaftete Darstellungen von weiblichen Charakteren zu treffen. Geradezu schockiert hat mich die gehäufte Verwendung von Textbeispielen, in denen Gewalt gegen Frauen eine Rolle spielt. In einer Kurzgeschichte, die die Wirkung der verschiedenen Erzählperspektiven aufzeigen soll, wird eine weibliche Figur bei einem Kletterausflug von einer männlichen Figur in einen gefährlichen Hinterhalt gelockt. In der auktorialen Perspektive offenbart die Autorin dann sein Motiv: Er hasst Frauen (Bd. 1, S. 225).

Doch das ist nicht das einzige problematische Textbeispiel. Im zweiten Band bekommen die Leser*innen die Aufgabe, eine spannende Szene fortzusetzen. Die vorgegebene Situation der Autorin: Eine verletzte, gefesselte und offenbar missbrauchte Frau ahnt, dass ihr Peiniger zurückkommen wird (Bd. 2, S. 113).

 

Und auch die Fortsetzungsgeschichte „Hannas WeGe ins Glück“ strotzt wie bereits angesprochen vor Klischees. Die Studentin Hanna wohnt in einer WG mit ihren zwei besten Freundinnen. Doch wegen Hannas Spielsucht (sie spielt Lotto) reicht das Geld oft nicht und die WG ist mit der Miete im Verzug. Also ziehen die beiden Freundinnen aus und lassen Hanna mit dem Schlamassel alleine. Sie wird daraufhin von ihrem 60-jährigen Vermieter belästigt, der ihr eindeutige Angebote macht, wie man das Problem lösen könne. Hanna sucht schnellstmöglich nach neuen Mitbewohnern (ausdrücklich nach männlichen) und gleichzeitig, wie könnte es auch anders sein, nach der großen Liebe. Dass das nicht klappen kann, ist eigentlich offensichtlich.  

 

Immer wieder beschleicht mich beim Lesen dieser Textbeispiele das Gefühl, die Autorin macht es sich (zu) leicht. Denn natürlich bergen all diese Beispiele großes Konfliktpotenzial und indem auf Klischees zurückgegriffen wird, schreibt sich der Text fast von alleine – schließlich sind die Handlungsräume innerhalb des Klischees begrenzt. Doch das ist in meinen Augen nicht, was gute Literatur ausmacht.

 

Gute Literatur erforscht auch Zwischenräume und schafft Nuancen. Sie lebt von Individualität und Authentizität. Das vermisse ich in diesem Ratgeber sehr.

 

Vor allem, da Diana Hillebrand selbst mehrfach betont, wie wichtig starke Charaktere für eine gute Geschichte sind.

Nun lässt sich darüber streiten, ob ein Ratgeber, der für Schreibanfänger*innen gedacht ist, das leisten muss – oder ob es legitim ist, es ihnen so einfach wie möglich machen zu wollen. Meine Haltung dazu ist klar: Vielfalt, Authentizität und Selbstreflektion sollten immer mit von der Partie sein. Vor allem, wenn es um Texte geht, die veröffentlicht werden. Und es ist wirklich fraglich, ob nicht auch andere Darstellungen und Textbeispiele getaugt hätten, eine einfache und dennoch spannungsgeladene Szene aufzumachen. Ich denke: Ja!

 

Solche teils gewaltvollen Beispiele für Schreibübungen heranzuziehen, wo es überhaupt nicht notwendig ist, finde ich sehr bedenklich und das zeigt einmal mehr, wie tief verankert es in unseren Köpfen ist, dass Gewalt an Frauen „normal“ ist und einfach „dazugehört“. Umso wichtiger finde ich es, dass angehende Autor*innen sich sensibilisieren und nicht auch noch in einem Schreibratgeber aufgezeigt bekommen, dass das „normale“ Themen sind, derer man sich ohne Einordnung und kritische Auseinandersetzung bedienen kann. 

Fazit

Mein Fazit fällt gemischt aus. Das Buch ist gut zu lesen, sehr anschaulich und mit vielen Übungen gespickt.

 

Mir gefällt, dass die Autorin den Spaß am Schreiben in den Vordergrund stellt und gleichzeitig keine falschen Hoffnungen weckt.

 

Schreiben ist anstrengend und braucht viel Übung. Und selbst dann ist nicht jedes Buch für eine Veröffentlichung bestimmt und noch lange kein Erfolg vorprogrammiert.

Durch die vielen Aspekte, die behandelt werden, gerade auch was Verlagswissen und Marketing betrifft, könnte es ein ideales Einstiegsbuch sein.

 

Doch leider sind viele Textbeispiele klischeehaft, zum Teil explizit gewaltvoll gegen Frauen, ohne dass das eingeordnet oder als problematisch benannt wird.

 

Ich würde mir wünschen, dass angehende Autor*innen dazu ermutigt werden, sich selbst zu hinterfragen, und bewusst mit Klischees zu brechen, um starke Figuren zu entwickeln, die sich selbst tragen. Es gibt so viel mehr als die vielproduzierten Klischees, und diese Räume zu erforschen und sichtbar zu machen könnte eine Aufgabe für angehende Autor*innen sein, von der ich mir wünsche, sie würde öfter gefördert.

 

Aus diesem Grund kann ich das Buch leider nicht uneingeschränkt empfehlen.  

Kurzüberblick

Gut

  • Lockerer Stil
  • Kurze Kapitel
  • Viele Übungen
  • Fokus auf Spaß und Regelmäßigkeit
  • Für Anfänger*innen super, weil alles drin
  • Viele Beispiele, Anschaulichkeit
  • Blick auf die Realität (Verlagssuche, nicht jeder Text muss publiziert werden…)

 

Doof

  • Nicht gegendert
  • Wirkt ein bisschen aus der Zeit gefallen (Erklärung zu Facebook)
  • Sehr klischeehaft in den Beispielen
  • Beispiele haben oft Gewalt gegen Frauen zum Thema 
  • "Hannas WeGe ins Glück" wird dem eigenen Anspruch der Autorin nicht gerecht

 


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Kommentare: 2
  • #1

    Diana Hillebrand (Montag, 22 August 2022 21:06)

    Liebe Melina,
    ich danke dir, dass du meine beiden Schreibratgeber so ausführlich und kritisch bewertet hast. Und ich stimme dir zu: Würde ich die Bücher heute schreiben, würde ich ganz sicher gendern. Allerdings habe ich die Bücher 2014 geschrieben und da hat man sich (zu Unrecht) noch keine oder zu wenig Gedanken darüber gemacht. In meinen heutigen Texten oder auch in meinem Podcast "Schreibzeug" gehe ich anders damit um.
    Auch die Textbeispiele haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Und ja, natürlich wirkt einiges aus der Zeit gefallen. Damals war Facebook noch das Maß aller Dinge. :-)
    Auch habe ich einige Beispiel-Geschichten bewusst überzogen geschrieben, weil das Plakative manchmal eben besser verständlich ist. Naja. Es waren halt auch Beispiele, die ich speziell für das Buch geschrieben habe, um ein ganz bestimmtes Thema darzustellen. Meine gerade veröffentlichten Kurzgeschichten sind da sicher etwas ausgeglichener. :-)
    Trotzdem danke ich dir, auch wenn du mit deiner Rezension leider etwas spät dran bist, denn leider sind die Bücher inzwischen vergriffen und werden nicht mehr aufgelegt!!! Aber sollte ich einen neuen Schreibratgeber schreiben, werde ich deine Hinweise sicher im Hinterkopf haben.
    Liebe Grüße
    Diana Hillebrand

  • #2

    Melina Wandler (Dienstag, 23 August 2022 13:20)

    Liebe Diana,
    vielen Dank für deinen Kommentar! Es freut mich sehr zu hören, dass du heute auch anders mit einigen Dingen umgehst. Natürlich hast du recht, dass sich seit 2015 vieles getan hat und ich ein bisschen spät dran bin. Da die Einzelbände meines Wissens noch als E-Books erhältlich sind, war es mir aber wichtig, meine Punkte noch anzubringen. :)

    Liebe Grüße
    Melina Wandler